Im Zeichen des Kreuzes
Das Kreuz gleichgültig, in welcher Form – ist nach wie vor eine spannende Herausforderung für den Künstler unserer Zeit – gewiss für den religiösen oder Religion akzeptierenden, der in ihm das Zeichen der Überwindung des Leidens und des Sterbens erblickt und ein Hoheitszeichen für die Bewältigung des Lebens unter schwierigen Umständen. Gewiss aber auch für jenen, der das schwere Gewicht der Geschichte auf sich lasten fühlt, die zweitausend Jahre Überlieferung mit ihrer Prägung der Kunstgeschichte, den Symbolcharakter für ein – je nach Einschätzung – lobenswertes oder zu verurteilendes Unternehmen namens Kirche. Immer wahrscheinlicher aber wird – sieht man die Kreuzdarstellungen und die sie begleitenden Texte von Zeitgenossen an – die Herausforderung, mit den überzeugenden Darstellungen der Kunstgeschichte Schritt zu halten, sich mit ihnen zu messen, sie weiter zu formulieren, zumindest auf sie zu reagieren.
Christian Hofmann hat mit seiner Ausstellung „Im Zeichen des Kreuzes” fast didaktisch versucht, die Themenstellung aufzulisten, dem Zuschauer begreiflich zu machen, was ihn an diesem Modell bewegt, ihn einzunehmen für seine Sehweise. Er geht von der einfachen T-Form aus, jenem Urmodell, das er in analoger Materialität nur mit Holz und Dachpappe nachempfindet und damit die Kraft der Schlichtheit, die Urzelle der formalen Kraft unterstreicht. Die Kraft der Schlichtheit, ausgiebig dokumentiert in dem, was wir „arte povera“ nennen, trägt auch immer in sich das Pathos des armen, des sich beschränkenden, des nicht zugestandenen Materials und erinnert damit vielfältig an das Leiden einer nackten hängenden Menschengestalt, wie sie nun einmal als Christus Berühmtheit erfuhr.
Das Erklärungsmodell Hofmanns vermittelt die Einfachheit des Ereignisses, das Grundsätzliche von Urgestalt und Uropfer, das Pathos des Armen und des Leides, das Modell einer Zeitlosigkeit durch die Verwitterungskategorien und die Symbolkraft, die ein für allemal mit der Kreuzigungsmetapher besetzt sind.
Der nächste Schritt ist das malerische Portrait eines Wegkreuzes, irgendwo in der Landschaft gesehen und zur Ehre des Ölbildes erhoben. Auch hier klar die Metamorphose einer einstmals strahlenden Christusfigur in die Vergänglichkeit, in das Vergehen von Zeit und Raum, das aber in der Gestalt seine Kraft behält. Auch hier die Signale, dass Alter und Außeneinfluss der Urgestalt nichts anhaben können, dass im Schema die ganze Wirkung steckt und in der Armut der Sieg.
Hofmann erinnert mit dieser Malerei an die von uns oftmals übersehenen Zeichen am Straßenrand und an Wegkreuzungen, Zeichen, die im Zeitalter hoher Geschwindigkeiten nur mehr schemenhaft wahrgenommen werden, nichtsdestoweniger aber ihren Platz behaupten und – ob bewusst oder unbewusst unserem visuellen Speicher einverleibt sind.
Welche Ausstrahlung die Christusfigur am Kreuz haben muss, simuliert Hofmann an der Herausarbeitung der negativen Form. Ein abgefallener Normgusseisen-Christus entpuppt sich als Schemenspender an der darunterliegenden Holzsubstanz auch dann, wenn er längst verschwunden ist. Die durch den Schutz des Körpers weniger eingetretene Verwitterung entwickelt ein Negativ von beachtlichem Unterschied zum restlichen Holz, durchbricht quasi als Schatten die Homogenität der Faserung, signalisiert eine Art Unversehrtheit gegenüber Vergänglichkeit, zeigt die Metamorphose verschiedener Zeitbegriffe.
Hofmanns Leistung ist, dieses Phänomen nicht nur erkannt, dargestellt, sondern auch gemalt zu haben: den Prozess des Vergehens mit dem Pinselstrich eingefangen (vermutlich besser, als jede Kamera es kann) und eine Malschicht entwickelt zu haben, die eine andere Art von Realität andeutet, als wir sie alltäglich erleben.
Wie es um den zerbrochenen Rest des Christuskörpers sieht, macht er ebenso sichtbar, entwickelt quasi Plastizität in der Ebene, zwingt eine dritte Dimension auf die zweite und vollzieht so langsam und bedächtig das Nachdenken über eine Vorstellung von Vorhandensein und Nichtvorhandensein, von Wegnahme oder Abfall, von der Reduzierung des Ganzen, vom Zeitbegriff in der Malerei, nicht durch Bewegung signalisiert, sondern durch den nachvollziehbaren Prozess der Zerstörung durch Alterung.
In der Aufeinanderfolge der letzten beiden Sujets fängt Hofmann viel von der Grundproblematik der Malerei ein, setzt sich mit ihr fast didaktisch auseinander und kommt damit in formale Verstrickungen, die unmerklich, aber doch sich zum Inhalt der Aussage emanzipieren. Die Jesusgeschichte wird zur Formalgeschichte, Beleg für die These, dass in der künstlerischen Produktion Inhalt niemals der Form gegenübersteht, sondern ein Produkt aus Thema und Form ist, wie autonome künstlerische Arbeit immer unabdingbar zur Verdeutlichung der Botschaft integriert ist und nicht als Gegenpol, wie oft artikuliert wird.
Hofmanns letzte Arbeit treibt diese „Schule des Sehens” in eine quasi Abstraktion, die malerische Darstellung einer Hauswand. Alltäglichkeit, in der uns jenes T immer wieder und oft begegnet, das als Kreuzsymbol so viel Wirkung erlangte. Hier wird die Malerei zum Prüfstein für den Rezipienten: was er empfindet, wiedererkennt, woran er oftmals achtlos vorbeigelaufen, was ihm nie auffiel und – was er aus der Betrachtung der anderen Bilder gelernt hat. Natürlich wird auch die Ästhetik des Alltags beschrieben, ihre Einfachheit, Klarheit, Logik, ihre Verwandtschaft mit den heren Dingen des Lebens, die Bescheidenheit der Geste, die erst durch das Auge und die Hand des Künstlers zum Gestus wird.
Die Aufforderung an das schauende Publikum ist eindeutig: gehet hin und machet die Augen auf. Ihr seht mehr, als Ihr bislang gedacht habt.
Prof. Dr. Manfred Wagner
Universität für angewandte Kunst, Wien